Wohnoffensive beim Wankdorf in Bern

Der Bund - «Attraktives» Wohnen zwischen Zug und Autobahn

Wie die Wankdorf City zum Geisterquartier wurde und nun mit einer dritten Wohnbauetappe aufgemotzt werden soll. Doch wer will dort eigentlich wohnen?

Auf dem heutigen Gewerbeareal neben dem Wankdorf-Bahnhof, zwischen Gleisen und Autobahn, hat ein Zürcher Immobilienfonds Grosses vor: Bereits in wenigen Jahren soll aus dem gesamten Areal, dem östlichsten Teil der Wankdorf City, ein «attraktiver Wohn- und Arbeitsort» werden. Auch Wohnungen im «preisgünstigen Segment» sind vorgesehen, wie Fondsleiterin Gabriela Theus am Donnerstag vor den Medien bekannt gab. Geplant ist zudem ein Hochhauskomplex mit Bauten von bis zu 75 Meter Höhe. Bemerkenswert ist der Anteil an Wohnungen: Dieser soll bis zu 50 Prozent betragen. «Das entspricht rund 400 bis 500 Wohnungen», so Theus. Die ersten Projektwettbewerbe sollen bereits 2021 durchgeführt werden. 2023 könnte dann mit dem Bau der ersten Etappe begonnen werden. Das künftige Baugesuch soll die gesamte Parzelle betreffen, um die Homogenität des Projekts zu gewährleisten.

«Bunter, vielfältiger und lebenswerter»
Die geplante Entwicklung entspreche einer logischen Weiterführung der beiden ersten Bauetappen, so Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). «Sie ergänzt diese gewinnbringend und macht Wankdorf City gesamthaft bunter, vielfältiger und lebenswerter.» Vom Tempo der Planung zeigte sich von Graffenried positiv überrascht. Doch die Wohnoffensive wirft auch Fragen auf. Die drängendste: Wer will dort eigentlich wohnen? Bekannt, ja geradezu berüchtigt ist Wankdorf City nämlich vor allem als Businessquartier, wo täglich Tausende Büroangestellte zur Arbeit pendeln. Auf dem Areal des ehemaligen Schlachthofs befinden sich seit ein paar Jahren die Hauptsitze von Post und SBB. Hinzu kommen Büros von Baufirmen, Krankenkassen und anderen Dienstleistern.

Die Autobahn rauscht
Die Kehrseite dieser Bürowüste: Nach Feierabend oder an den Wochenenden wirkt das Areal wie ausgestorben. Dann begegnet man auf der Wankdorfallee ausser leeren Stühlen und Krähen niemandem. Auch auf den wenigen Grünflächen ist ausserhalb der Bürozeiten nichts los. Nirgendwo bellt ein Hund oder schreit ein Kind. Nur die Autobahn rauscht. Frei nach Roberto Blanco: Arbeit si, Samba no. Einzige Oase in dieser Ödnis: die Tapas Bar Turbo Lama, wo Büromenschen vor ihrem Zug zurück in die Vorstadt noch ein Bier trinken. Sich dort mit Freunden zu verabreden, scheint geradezu eine abwegige Idee. Für die Überbauung wurde das Areal Anfang 2000er-Jahre in drei Bauphasen unterteilt (siehe Grafik). Vor allem die erste Phase, die 2014 fertiggestellt wurde, gilt heute als städtebaulicher Sündenfall: die langweilige und farblose Architektur, die monotone Nutzung, die Top-Down-Planung ohne Einbezug des Quartiers. Auch die Böden hat man versiegelt, als gebe es keine Klimaerwärmung. Hat man aus diesen Fehlern gelernt? Mark Werren, Berns Stadtplaner, sagt es so: «Wir wissen heute besser, wie wir Siedlungsentwicklung machen.» Thomas Ingold, Delegierter des Quartiervereins, ist vorsichtig optimistisch: «Ich glaube, dass hier etwas Gutes für die Quartierbevölkerung entstehen kann.» Im Gegensatz zu früher seien beim jetzigen Projekt Vertreter des Quartiers von Anfang an beigezogen worden.

«Steigerungslauf»
Insgesamt stellt Ingold für das Areal einen «Steigerungslauf» fest: Während der erste Teil noch komplett auf Arbeit ausgerichtet war, habe man bei der 2. Phase bereits dazugelernt und auch dem Wohnen und dem Gewerbe etwas Platz eingeräumt. Nun seien die Investoren für die dritte und letzte Phase offenbar bereit, einen breiten Mix an Nutzungen zuzulassen. Das stimme positiv. «Doch wie viel davon letztlich umgesetzt wird, wird erst der Wettbewerb zeigen.» Offene Fragen gebe es auch bei der Anbindung an das Löchliguet­­­‑Quartier. Und dass das Quartier auch für Familien attraktiv wird, kann sich Ingold nur schwer vorstellen.

Grosse Nachfrage
Derweil werden auf der Parzelle nebenan die Gebäude der Wankdorf City in diesen Wochen fertiggestellt oder sind bereits fertig. Die Mobiliar vermietet hier neben Büros, der Tapas-Bar auch 1,5-, 2,5- und 3,5-Zimmer-Wohnungen. Letztere gibt es ab 2200 Franken. Die Nachfrage ist offenbar da: Obwohl erst seit Juli dort gewohnt werden kann, sind laut Mobiliar bereits alle 72 Mietwohnungen vermietet. Auch an Familien? Darüber will die Mobiliar keine Auskunft geben. Beim Quartierverein vermutet man eher: Singles, Expats und Berufssportler. Mitte der 2000er-Jahre, als die Planung der Wankdorf City konkret wurde, war der Bedarf nach Wohnungen neben Gleis und Autobahn wohl kleiner, die Wohnungsnot weniger akut. Das änderte sich aber schon bald. 2014, nach Fertigstellung der ersten Phase, war die Ausgangslage bereits eine andere, und im Stadtrat regte sich Widerstand gegen die «Dienstleistungswüste».

«Eine gewisse Marktlogik»
Seitens der Investoren sei die Nachfrage nach Wohnungen nicht vorhanden gewesen, so der damalige Gemeinderat. Das sei bedauerlich, entspreche aber einer «gewissen Marktlogik». Inoffiziell hiess es aber auch, dass der damalige Stadtpräsident Alexander Tschäppät unbedingt die Hauptsitze der Post und SBB in Bern behalten wollte. Zudem konnte sich Tschäppät schlicht nicht vorstellen, dass jemand freiwillig zwischen Zug und Autobahn wohnen will. Zumindest der Zürcher Immobilienfonds und der jetzige Stadtpräsident sehen dies anders.

[Andres Marti]

 

Wohnoffensive beim Wankdorf in Bern

Der Bund - «Attraktives» Wohnen zwischen Zug und Autobahn

Wie die Wankdorf City zum Geisterquartier wurde und nun mit einer dritten Wohnbauetappe aufgemotzt werden soll. Doch wer will dort eigentlich wohnen?

Auf dem heutigen Gewerbeareal neben dem Wankdorf-Bahnhof, zwischen Gleisen und Autobahn, hat ein Zürcher Immobilienfonds Grosses vor: Bereits in wenigen Jahren soll aus dem gesamten Areal, dem östlichsten Teil der Wankdorf City, ein «attraktiver Wohn- und Arbeitsort» werden. Auch Wohnungen im «preisgünstigen Segment» sind vorgesehen, wie Fondsleiterin Gabriela Theus am Donnerstag vor den Medien bekannt gab. Geplant ist zudem ein Hochhauskomplex mit Bauten von bis zu 75 Meter Höhe. Bemerkenswert ist der Anteil an Wohnungen: Dieser soll bis zu 50 Prozent betragen. «Das entspricht rund 400 bis 500 Wohnungen», so Theus. Die ersten Projektwettbewerbe sollen bereits 2021 durchgeführt werden. 2023 könnte dann mit dem Bau der ersten Etappe begonnen werden. Das künftige Baugesuch soll die gesamte Parzelle betreffen, um die Homogenität des Projekts zu gewährleisten.

«Bunter, vielfältiger und lebenswerter»
Die geplante Entwicklung entspreche einer logischen Weiterführung der beiden ersten Bauetappen, so Berns Stadtpräsident Alec von Graffenried (GFL). «Sie ergänzt diese gewinnbringend und macht Wankdorf City gesamthaft bunter, vielfältiger und lebenswerter.» Vom Tempo der Planung zeigte sich von Graffenried positiv überrascht. Doch die Wohnoffensive wirft auch Fragen auf. Die drängendste: Wer will dort eigentlich wohnen? Bekannt, ja geradezu berüchtigt ist Wankdorf City nämlich vor allem als Businessquartier, wo täglich Tausende Büroangestellte zur Arbeit pendeln. Auf dem Areal des ehemaligen Schlachthofs befinden sich seit ein paar Jahren die Hauptsitze von Post und SBB. Hinzu kommen Büros von Baufirmen, Krankenkassen und anderen Dienstleistern.

Die Autobahn rauscht
Die Kehrseite dieser Bürowüste: Nach Feierabend oder an den Wochenenden wirkt das Areal wie ausgestorben. Dann begegnet man auf der Wankdorfallee ausser leeren Stühlen und Krähen niemandem. Auch auf den wenigen Grünflächen ist ausserhalb der Bürozeiten nichts los. Nirgendwo bellt ein Hund oder schreit ein Kind. Nur die Autobahn rauscht. Frei nach Roberto Blanco: Arbeit si, Samba no. Einzige Oase in dieser Ödnis: die Tapas Bar Turbo Lama, wo Büromenschen vor ihrem Zug zurück in die Vorstadt noch ein Bier trinken. Sich dort mit Freunden zu verabreden, scheint geradezu eine abwegige Idee. Für die Überbauung wurde das Areal Anfang 2000er-Jahre in drei Bauphasen unterteilt (siehe Grafik). Vor allem die erste Phase, die 2014 fertiggestellt wurde, gilt heute als städtebaulicher Sündenfall: die langweilige und farblose Architektur, die monotone Nutzung, die Top-Down-Planung ohne Einbezug des Quartiers. Auch die Böden hat man versiegelt, als gebe es keine Klimaerwärmung. Hat man aus diesen Fehlern gelernt? Mark Werren, Berns Stadtplaner, sagt es so: «Wir wissen heute besser, wie wir Siedlungsentwicklung machen.» Thomas Ingold, Delegierter des Quartiervereins, ist vorsichtig optimistisch: «Ich glaube, dass hier etwas Gutes für die Quartierbevölkerung entstehen kann.» Im Gegensatz zu früher seien beim jetzigen Projekt Vertreter des Quartiers von Anfang an beigezogen worden.

«Steigerungslauf»
Insgesamt stellt Ingold für das Areal einen «Steigerungslauf» fest: Während der erste Teil noch komplett auf Arbeit ausgerichtet war, habe man bei der 2. Phase bereits dazugelernt und auch dem Wohnen und dem Gewerbe etwas Platz eingeräumt. Nun seien die Investoren für die dritte und letzte Phase offenbar bereit, einen breiten Mix an Nutzungen zuzulassen. Das stimme positiv. «Doch wie viel davon letztlich umgesetzt wird, wird erst der Wettbewerb zeigen.» Offene Fragen gebe es auch bei der Anbindung an das Löchliguet­­­‑Quartier. Und dass das Quartier auch für Familien attraktiv wird, kann sich Ingold nur schwer vorstellen.

Grosse Nachfrage
Derweil werden auf der Parzelle nebenan die Gebäude der Wankdorf City in diesen Wochen fertiggestellt oder sind bereits fertig. Die Mobiliar vermietet hier neben Büros, der Tapas-Bar auch 1,5-, 2,5- und 3,5-Zimmer-Wohnungen. Letztere gibt es ab 2200 Franken. Die Nachfrage ist offenbar da: Obwohl erst seit Juli dort gewohnt werden kann, sind laut Mobiliar bereits alle 72 Mietwohnungen vermietet. Auch an Familien? Darüber will die Mobiliar keine Auskunft geben. Beim Quartierverein vermutet man eher: Singles, Expats und Berufssportler. Mitte der 2000er-Jahre, als die Planung der Wankdorf City konkret wurde, war der Bedarf nach Wohnungen neben Gleis und Autobahn wohl kleiner, die Wohnungsnot weniger akut. Das änderte sich aber schon bald. 2014, nach Fertigstellung der ersten Phase, war die Ausgangslage bereits eine andere, und im Stadtrat regte sich Widerstand gegen die «Dienstleistungswüste».

«Eine gewisse Marktlogik»
Seitens der Investoren sei die Nachfrage nach Wohnungen nicht vorhanden gewesen, so der damalige Gemeinderat. Das sei bedauerlich, entspreche aber einer «gewissen Marktlogik». Inoffiziell hiess es aber auch, dass der damalige Stadtpräsident Alexander Tschäppät unbedingt die Hauptsitze der Post und SBB in Bern behalten wollte. Zudem konnte sich Tschäppät schlicht nicht vorstellen, dass jemand freiwillig zwischen Zug und Autobahn wohnen will. Zumindest der Zürcher Immobilienfonds und der jetzige Stadtpräsident sehen dies anders.

[Andres Marti]

 

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